Der Zauber der Kindheit

Der Zauber der Kindheit und eines Buches

Oder: Wie ich zum Schreiben kam

Noch heute erinnere ich mich gern und mit einer gehörigen Portion Nostalgie an ein Buch, das ich in meiner Kindheit gelesen habe. Ich kann damals kaum älter als acht oder neun Jahre gewesen sein, und vielleicht war es das erste Buch überhaupt, das ich gelesen habe. Es ging darin um eine Schildkröte, die ein Junge des Nachts unter seinem Bett hatte und ihm Geschichten in Form von Träumen erzählt. Damals war ich so sehr von dem Buch fasziniert, dass ich erste eigene Schreibversuche unternahm, die schließlich, etwa zehn Jahre später, zum ersten veröffentlichten Roman führten. Jenes Buch weckte nicht nur meine Liebe für die Literatur, sondern machte mich letztendlich auch zum Schriftsteller.

Bis vor einigen Jahren wusste ich nicht mehr, wie das Buch hieß und von wem es stammte. Ich verdanke es einer Leserin namens Sylvia Schröder, dass das erste Buch meiner Kindheit einen Namen bekam: »Was die Schildkröte erzählte«. Eine Recherche per Internet ergab schnell den Namen der Autorin: Maria Kahle (1891-1975). Anschließend musste ich feststellen, dass die Autorin des Buches, das mich in meiner Kindheit so tief beeindruckte, eine nationalsozialistische Vergangenheit hat. 1941 erklärte sie sich zusammen mit anderen regionalen Autoren in einem »Kriegsbekenntnis westfälischer Dichter« zu »Soldaten des Wortes«. Das wusste der Knabe namens Andreas Brandhorst natürlich nicht, als er die Geschichten las, die die Schildkröte einem anderen Jungen erzählte. Es ist der Zauber der Kindheit, eine Phase der Unschuld, aus der wir schließlich alle herauszuwachsen und zu der wir nie zurückkehren können.

Ich wurde bei eBay fündig und konnte dort ein Exemplar von »Was die Schildkröte erzählte« erwerben. Es begleitet mich bei Lesungen, Vorträgen usw., als kleine Erinnerung daran, woher ich komme. Lange habe ich überlegt, ob ich das Buch erneut lesen soll, mit einem Abstand von über 50 Jahren. Ich habe mich letztendlich dagegen entschieden, um die Erinnerung an den Zauber der Kindheit zu bewahren.

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert